Der Eigenbrötler
Ursprünglich ist der Eigenbrötler der Bewohner eines Heims, der auf eigene Kosten untergebracht war. Nicht auf die Hilfe anderer angewiesen war, eben: Sein eigenes Brot essen konnte. Daher das Wort.
Die letzten Wochen haben mich etwas zur Eigenbrötlerin gemacht. Vor allem, was mein Zuhause angeht. Kaum jemand hat meine Kreise gestört. Kaum jemand kam mir in die Quere. Was ich morgens aufgeräumt hatte, lag abends noch an Ort und Stelle. Die Dinge hatten ihren Platz gefunden. Den ich ihnen gegeben hatte.
Vieles war in ziemlich geordneten Bahnen verlaufen. Abgesehen von regelmäßigen Telefonaten hatte ich lediglich einen wesentlichen Gesprächspartner. Meinen Mann.
Das war schon eine besondere Zeit. Und doch war ich froh, als sich im Juni ein Freund angekündigt hat. Auch er hatte die Wochen seit März ziemlich eigenbrötlerisch verbracht. Nun wollte er sich für Tage oder Wochen bei uns einquartieren.
Der Plan: Wir wollen tagsüber arbeiten, die Abende und Wochenenden miteinander verbringen, miteinander reden, etwas miteinander unternehmen. Mir ist schnell klar geworden: Hier wird aus dem Gast ein Mitbewohner. Einer, für den man nicht dauernd etwas Besonderes kocht, sondern mit dem wir unser Brot teilen. Ein Kumpan – ein Mitbrötler sozusagen.
Nun ist es nicht ganz einfach, das Brot miteinander zu teilen. Das haben mir die letzten Wochen gezeigt. Denn man muss sich aufeinander einstellen. Auf die Eigenheiten des anderen. Auf die Essgewohnheiten. Auf den Raum, den einer einnimmt. Auf die kleine Spur der persönlichen Dinge, die das Haus durchzieht.
Nun kann man sich entscheiden: Entweder man streicht die Segel und lässt es sein, Gäste im Sinne von Mitbrötlern zu haben. Oder man gestaltet die eigenen vier Wände und das eigene Leben so, dass es möglich ist, andere zu beherbergen, dass sie Platz haben.
Ich möchte das – das Brot miteinander teilen. Das haben mir die letzten Monate gezeigt. Schon, um mich nicht für das Maß aller Dinge zu halten. Und, weil teilen mich reicher macht. Das Brot und das Leben. Da darf es auch ruhig ein bisschen anstrengend sein.
Andrea Wagner-Pinggéra