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Klein und Groß

Als Kind bekam ich eine Lupe geschenkt. Von diesem Augenblick an besah ich mir die Welt genau. Ich nahm sie im wahrsten Sinne des Wortes „unter die Lupe“. Keine Kleinigkeit blieb mehr verborgen. Die vielen Blütenstempel eines Gänseblümchens entdeckte ich. Wie auch die zahllosen Poren meiner Haut. Manche kleinen Schrammen am Lieblingsspielzeug traten allerdings auch zu Tage.

© Peter Maciej

Eines aber war immer gleich: Die Lupe zeigt mir einen kleinen Ausschnitt genau; das Große und Ganze aber war nicht mehr zu erkennen.

Bald machte ich auch eine gegenteilige Entdeckung. In Berlin. Als ich den Fernsehturm zum ersten Mal gesehen habe. Wir kamen aus der S-Bahn und ich stand direkt vor dem Eingang. Mit fast ausgerenktem Hals starrte ich in die Höhe. Leider konnte ich das Ende nicht sehen. Die dicke Kugel da oben versperrte mir den Blick bis zur Spitze. So musste mein Cousin mit mir erst ein Stück über den Platz laufen. Aus größerer Entfernung konnte ich dann alles sehen.

Zwei Erfahrungen, die mich bis heute begleiten: das Kleine und das Große hat immer seine eigene Art und Bedeutung. Wenn ich das Kleine finden will muss ich meine Sinne darauf anstrengen und ganz dicht herangehen. Und manch Großes erkenne ich erst mit Abstand richtig. Wenn ich alles im Zusammenhang sehen kann. Was dazu gehört und rund herum ist.

Für beides aber muss ich mich zunächst bewegen – mich also zuneigen oder entfernen. Das gilt für die Dinge um uns herum. Und für manchen Kummer oder manches Glück trifft es genauso zu.

Mit der Nähe und Entfernung verändere ich die Sicht. Erst dann kann ich wirklich wissen, was das Kleine oder das Große wirklich ist und bedeutet – für mich oder für die Menschen um mich herum. Erst dann.

Ein kleines entdecktes Lächeln inmitten vieler schlecht gelaunter Leute kann Mut schenken zum Weitermachen. Das schlichte kleine Licht einer Kerze, kann viele Augen zum Leuchten bringen.

Oder der störende Baum an der Einfahrt, der so vielen Vögeln und Insekten ein Zuhause gibt.

„Achte nichts gering, es sei klein oder groß“ - so heißt es in der Bibel (Sir 5,15). Und das gelingt mir vielleicht besser mit Zuneigen oder Abstand suchen; mit „unter die Lupe nehmen“ oder „erst einmal Überblick verschaffen“. Einen Versuch ist es ja wert.

Ich wünsche Ihnen im Großen und Ganzen einen guten gesegneten Tag – und in den kleinen Dingen natürlich auch.

Ihr Peter Maciej