Das Kreuz der Schrippenkirche in neuem Glanz - ein Symbol, das den Menschen beschreibt.
„Für andere da zu sein war immer das Motiv und der Herzschlag der Schrippenkirche. Und dafür steht das Kreuz, das wir heute enthüllen“, betonte der Pfarrer der Versöhnungsgemeinde, Thomas Jeutner, in seiner Andacht, die er am Buß- und Bettag vor der heutigen Schrippenkirche hielt. Anlass war die Enthüllung und öffentliche Aufstellung des Kreuzes der Schrippenkirche. Vor rund 50 Gästen erzählte er die Geschichte, wie das Kreuz in die „alte“ Schrippenkirche kam, wie es den Weg in die Versöhnungsgemeinde fand, um dann wieder in der „neuen“ Schrippenkirche anzukommen. Es wurde vom Künstler Hans Joachim Burgert in Form eines Vortragkreuzes für den Andachtssaal der alten Schrippenkirche, Ackerstraße 52, geschaffen. Den Darstellungen auf Vorderseite, die an die Geschichte Gottes mit den Menschen erinnern, sind auf der Rückseite der Emaillekacheln entsprechende Bibelstellen zugeordnet. Jonas Burgert, Sohn des Künstlers, erinnert sich noch gut, was seinen Vater künstlerisch bewegte: „Mein Vater hat sich immer mit dem Menschen beschäftigt und damit, was ihn ausmacht. Er fand dafür in den biblischen Geschichten viele Symbole und Erzählungen.“ So sei auch das Kreuz der Schrippenkirche ein Symbol, das für den Menschen steht und ihn beschreibt.
Es wurde erstmals 1963 im Einweihungsgottesdienst der restaurierten Kapelle in der Schrippenkirche aufgestellt. Die alte Schrippenkirche wurde 1980 abgerissen, das Kreuz jedoch gerettet. Es fand seinen Platz im Gemeindezentrum der Versöhnungsgemeinde, Bernauer Straße 111. Nach Fertigstellung der Kapelle der Versöhnung wurde das Kreuz im Jahr 2001 an die Schrippenkirche zurückgegeben, in der Ackerstraße 136/137 aber nur selten benutzt. Die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, in der der Verein Schrippenkirche 2017 aufging, entschloss sich, das Altarkreuz der Schrippenkirche im öffentlichen Raum aufzustellen - als Zeugnis christlich gegründeter Sozialarbeit im Wedding mit einer über 130-jährigen Tradition.
Der Künstler
Hans Joachim Burgert (1928 - 2009) studierte von 1947 bis 1954 an der Hochschule für Bildende Künste bei Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Schumacher und Willem Hölter. Burgert entwickelte eine vom Expressionismus beeinflusste Bilderwelt, bei der das Thema nicht „dargestellt“, sondern „empfunden“ wird. Seit Mitte der 1950er Jahre schuf Burgert zahlreiche Werke für die Ausgestaltung von Kirchen und Sakralgebäuden, u.a. Farbfenster, Corpora, Reliefs, Metallmontagen und liturgische Gegenstände.
Geschichte der Schrippenkirche
1894 erschien ein Buch mit dem Titel „Obdachlos“. Der Journalist, Constantin Liebich hatte es geschrieben. „Die sittliche Gefahr der Arbeitslosigkeit aufzudecken, die Dunkelheiten unseres öffentlichen Lebens zu klären und die Not der Obdachlosigkeit zu lindern“, so formulierte er den Sinn seiner Schrift. In 12 Bildern beschrieb er den Abstieg seines fiktiven Protagonisten, der immer tiefer sank, weil er zwischen einem rasantem wirtschaftlichen Aufschwung in der Zeit der industriellen Revolution und stagnierenden, völlig überforderten sozialen Hilfesystemen zerrieben wurde. Er durchlief mehrere Stationen. Schließlich besuchte er einen Gottesdienst, bei dem ein warmer Kaffee und zwei Schrippen gereicht wurden – eine Schrippenkirche eben.
1882 hatte der Verein Dienst an Arbeitslosen diese Veranstaltungen ins Leben gerufen. Constantin Liebich hatte die Vereinsgründung initiiert. 1901 kaufte der Verein ein Grundstück in der Ackerstraße 52. Dort errichtete er ein Jahr später ein eigenes Vereinshaus. 1904 predigte dort Friedrich von Bodelschwingh, der als Abgeordneter des Preußischen Landtages nach Berlin gekommen war. Er sprach mit Obdach- und Arbeitslosen. Die dabei gemachten Erfahrungen flossen ein in die Gründung von Hoffnungstal und Lobetal.
Die Großspende eines Reeders, der ein Vermögen mit Salpeter gemacht hatte, ermöglichte den Kauf des Grundstücks und den Hausbau. Die Schrippenkirche dehnte ihre Arbeitsfelder sehr rasch aus. Eine Wärmehalle für 300 Menschen wurde errichtet, Männer und Jugendliche konnten vorrübergehend Unterkunft und Arbeit finden bis sie durch den Arbeitsnachweis der Schrippenkirche in Stellung vermittelt wurden und neu „durchstarteten“. Und es gab die Brockensammlung, mit der scherzhaft „KaDeWe“ (Kaufhaus des Weddings) genannten Verkaufsstelle für aufgearbeiteten Trödel. Diese für den Wedding so bedeutungsschwere Arbeit wurde im Nationalsozialismus starken Restriktionen unterworfen. Da es keine Arbeitslosen mehr geben „durfte“, benannte sich der Verein in Schrippenkirche E.V. um. Im zweiten Weltkrieg wurde das Vereinshaus stark zerstört.
Nach 1945 übernahm die Schrippenkirche neue Aufgaben. Mädchen und junge Frauen, Kinder und ältere Menschen wurden betreut.
Einen großen Einschnitt bedeutete die sogenannte Kahlschlagsanierung des Weddings. Flächendeckend wurde abgerissen und neu gebaut. Die alte Schrippenkirche fiel der Abrissbirne zum Opfer. Auch die starken Proteste nutzten nichts. An die 1980 abgerissene alte Schrippenkirche erinnert heute eine Tafel für Constantin Liebich, angebracht an der Hauswand des in der Ackerstraße 52 befindlichen Gebäudes.
Der Verein bekam sein neues Grundstück in der Ackerstraße 136/137 und ein neues Gebäude. Dadurch verbesserten sich die Arbeitsbedingungen, aber das Gebäude der alten Schrippenkirche mit seiner langen Tradition verschwand.
2017 ging der Verein Schrippenkirche in der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal auf. Lobetal gehört zu den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Und so hat sich ein Kreis geschlossen, den Friedrich von Bodelschwingh 1904 mit seinen Predigten in der alten Schrippenkirche angezeichnet hatte
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Schrippenkirche heute
Die heutige Schrippenkirche ist eine Wohnstätte für 44 Menschen mit Unterstützungsbedarfen. Sie haben hier ein Zuhause in individuell eingerichteten Einzelzimmern gefunden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Berufsfeldern Pädagogik und Pflege begleiten die Bewohnerinnen und Bewohner. Die Stabilisierung lebenspraktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben. Eine gemeinschaftliche Alltagsgestaltung kann zur Erhöhung sozialer Kompetenzen beitragen. Aus der Arbeit der Schrippenkirche ist das Hotel „Grenzfall“ hervorgegangen. Der Name „Grenzfall“ bezieht sich sowohl auf die Nähe zur ehemaligen Mauer als auch auf das Engagement, im täglichen Miteinander von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung Grenzen zu überwinden und zu beseitigen.