Migrationsfachdienst: Christine Goldschmidt im Interview
Christine Goldschmidt gab kürzlich auf Radio Paradiso einen Einblick in den Migrationsfachdienst der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal. Wir geben hier dieses Interview in gekürzter Form wieder.
Seit wann existiert der Migrationsfachdienst der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal und was bietet er?
Die Migrationsberatung begann in den frühen 1990er Jahren und ist seit 2015 Teil der Stiftung. Wir beraten und unterstützen alle, die nicht in Deutschland geboren sind oder einen Migrationshintergrund haben. Unser Angebot umfasst vier verschiedene Dienste, die sich in Themen, Zielgruppen und Aufenthaltsstatus unterscheiden.
Unterscheiden Sie zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten?
Nein, wir beraten alle unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Migrationshintergrund bedeutet dabei, dass mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist. Wir beraten auch die zweite Generation. Unsere Themen umfassen Aufenthaltsrecht, Zugang zu Sozialleistungen, Arbeit und Ausbildung. Im Jugendmigrationsdienst unterstützen wir junge Menschen zwischen zwölf und 27 Jahren bei ihrer Integration. Wir schauen nach deren Ankunft in Deutschland: Was haben sie vorher gemacht, welche Interessen haben Sie? Wo kann der Weg hingehen? Was möchten sie gerne hier werden und wie passt das zusammen?
Wie erfahren junge Menschen von Ihrem Angebot?
Vieles geschieht durch Mundpropaganda. Ämter und Behörden, insbesondere Jobcenter und Arbeitsagenturen, verweisen auf uns. Wir arbeiten eng mit Schulen zusammen, besonders beim Übergang von der neunten zur zehnten Klasse oder in die Ausbildung.
Wo befinden sich Ihre Standorte?
Die Stiftung hat zwei Schwerpunkte: Der größte Teil der Migrationsberatung befindet sich im Barnim, der Jugendmigrationsdienst hat Standorte in Oberhavel. Zudem gibt es einen Migrationsbereich in Cottbus in der Verantwortung des Diakonischen Werkes Niederlausitz.
Arbeiten Sie mit Dolmetschern?
Ja. Einige Mitarbeitende sprechen mehrere Sprachen. Ehrenamtlich Sprachmittelnde sind ein großer Schatz, da sie nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur verstehen. Wir nutzen auch einen vom Land Brandenburg geförderten Dolmetscherdienst und organisieren bei Bedarf professionell Dolmetschende.
Wie helfen Sie bei rechtlichen Fragen wie Duldung und Aufenthaltsstatus?
Wir benötigen umfassendes Wissen im Aufenthaltsrecht und aus dem Sozialgesetzbuch, um gut dazu beraten zu können. Unsere Kolleginnen und Kollegen beraten sich gegenseitig, um Fehler zu vermeiden, die drastische Konsequenzen haben könnten.
Welche Bedeutung hat die Sprache?
Spracherwerb ist entscheidend und schwierig, da die deutsche Sprache komplex ist. Hinzu kommt die Begabung. Wir kennen es ja auch von uns selbst: Dem einen fällt es leicht, eine Sprache zu lernen. Die andere ist gut in Mathematik und Physik. Doch das Ankommen hängt auch davon ab, aus welchem Gesellschaftssystem und aus welcher Kultur ich komme. Wenn ich von einem Bürgergeldantrag spreche, wer weiß davon schon? In den Nachbarländern kennt das keiner. Und die Formulare und die Bürokratie in Deutschland zu verstehen, das erfordert schon Einiges an Können – und nicht nur bei Menschen mit Migrationshintergrund.
Sind unter den Ehrenamtlichen auch Menschen, die zuvor eine Beratung erhalten haben?
Ja, oft sind es Menschen, die wir begleitet haben, oder Mitglieder der Community. Vor dem Einsatz erhalten sie eine Einführung in den Datenschutz oder in andere Themen, die herausfordernd sein können.
Können Sie ein Beispiel für erfolgreiche Integration nennen?
Ich erinnere mich an einen jungen Mann aus Kamerun. Dieser hat innerhalb eines Jahres sein Sprachniveau auf B2 gehoben und eine Ausbildung zum Mechatroniker begonnen. Oft machen junge Menschen noch mal eine Kehrtwende. Sie haben zwar im Herkunftsland studiert oder Abitur gemacht, aber vielleicht ihre Zeugnisse nicht dabei oder diese sind verloren gegangen. Dann können sie hier nicht direkt Berufe ausüben, die wir vielleicht auch dringend brauchen. Oft müssen diese jungen Menschen einen Schulabschluss nachholen oder eine andere Arbeit annehmen, bevor sie ihren Berufswunsch verwirklichen können.
Was hilft beim Ankommen?
Vereine sind dabei sehr wichtig. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk oder Sportvereine, auch Religionsgemeinschaften. Dort ist die Chance, integriert zu werden, sehr groß.
Wie sind die Verbindungen zu Betrieben, zu Kliniken oder Ausbildungsstätten?
Die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal hat ja eine berufliche Schule. Da sind wir immer wieder im Gespräch. Auch mit einigen Handwerksbetrieben sind wir in direktem Kontakt. Wir begleiten die Anfangszeit der Ausbildung und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. In der Regel läuft es so, dass die Jugendlichen einen Berufswunsch äußern. Dann nehmen wir Kontakt zu den Betrieben auf, Wir stoßen oft auf offene Ohren, weil die Handwerksbetriebe dringend Azubis suchen. Meist kommt es dann zu einer guten Kooperation.
Wie können Interessierte Ihre Arbeit unterstützen?
Wir suchen immer ehrenamtlich Unterstützende, die Nachhilfe geben oder bei Einbürgerungstests helfen. Wichtig ist Aufgeschlossenheit und das Verständnis, dass wir Zuwanderung brauchen. Wir sollten die Globalisierung nicht nur wirtschaftlich nutzen, sondern auch menschlich offen sein.
Wie lange arbeiten Sie schon in diesem Bereich?
Ich arbeite seit 20 Jahren in der Beratung. Wir sehen viele junge Menschen, die nicht freiwillig gekommen sind, aber sich eine neue Zukunft aufbauen wollen. Sie sind engagiert, brauchen jedoch mehr Zeit und Unterstützung als Einheimische. Wir als Gesellschaft brauchen sie, besonders in Pflege und Handwerk. Wir motivieren und begleiten sie, auch wenn es Hürden gibt. Wenn man darauf zurückschaut, dann ist das oft positiv, was dann dadurch entstehen kann.
Abschließend: Was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Wir brauchen Aufgeschlossenheit. Wir müssen verstehen, dass wir Zuwanderung brauchen, dass wir nicht alleine in der Welt sind und dass wir auch mit Globalisierung auf der einen Seite nicht sagen können: Ja, wir wollen alles, was es in der Welt gibt, kaufen können. Und andererseits machen wir die Mauern hoch und lassen die Menschen nicht rein. Das muss andere Wege gehen.
Ich wünsche mir, dass auch mehr gefragt wird: Wieso kommen die Menschen? Die Gründe sind so vielfältig. Wenn man sich auf den Weg macht und Fragen stellt, hinterfragt, dann stößt man auf sehr viele interessante Informationen. Manche davon machen mich sehr nachdenklich.