Selbst bestimmen: Inklusive Tagung „Teilhabe im Alltag erleben“ am Werbellinsee
Am 11. und 12. November trafen sich im Seezeit-Resort am Werbellinsee rund 80 Mitarbeitende und Menschen mit Beeinträchtigungen im Plenum und in verschiedenen Arbeitsgruppen zu einem intensiven Gedankenaustausch. Sie sprachen darüber, was Teilhabe und Selbstbestimmung heute für jeden bedeutet und von ihm verlangt. Miteinander reden anstatt übereinander – dieses Motto war von der ersten bis zur letzten Minute spürbar.
Barrierefreiheit war selbstverständlich. Alles, was im Plenum gesagt wurde, wurde von zwei Dolmetscherinnen simultan und über Kopfhörer für jeden, der das wollte, in Leichte Sprache übersetzt. Die Regeln der Veranstaltung stellten die Moderatorinnen Dr. Sabine Etzel und Dr. Sandra Fietkau vom Netzwerk „Persönliche Zukunftsplanung“ vor: Ein Piktogramm mit Brille und Auge stand für die Aufforderung, sich in der Diskussion der Frage: Wo sehe ich Möglichkeiten für Teilhabe und Selbstbestimmung? zu beteiligen. Smiley und Ohr symbolisierten die Forderung, einander gut zuzuhören und Mund und Sprechblase standen für die Aufforderung, jeden wertzuschätzen und gut verständlich füreinander da zu sein. Alle, die einen Beitrag hatten oder Hilfe benötigten, konnten dafür vorbereitete Kärtchen nutzen.
Neue Haltung: Dienstleister
Los ging es mit einer Andacht. Diakon Hartwin Schulz spannte dort den Bogen vom Lied „Alles muss klein beginnen, es muss nur Kraft gewinnen.“ bis hin zu Jesus Anspruch: „Ich bin das Licht der Welt, ich erhelle Eure Herzen“. Die Teilnehmenden sollten bei ihren Sorgen ebenso wie bei ihrem Dank an Jesus denken und auf ihn vertrauen. „Alles, was wir in diesen zwei Tagen erleben, können wir zu Jesus bringen“, sagte er.
Dr. Benjamin Bell, Bereichsleitung Teilhabe, baute die Brücke zu den Herausforderungen von Teilhabe und Selbstbestimmung im Jahr 2024. Er unterschied zwischen „selbst bestimmen“ und „selbst können“ und sagte gegenüber den Leistungsberechtigten: „Wir sind Ihre Dienstleister.“ Dass sei eine neue Haltung und betrachtet Inklusion zuallererst als gutes Miteinander. Es gehe um Assistenz, wann und wo immer sie gebraucht werde, ohne dabei die Schwierigkeiten, wirklich alles berücksichtigen zu können, zu übersehen.
Früher Klinik – jetzt wie eine kleine Familie in der Wohngemeinschaft
In einem Film und dem anschließenden Gespräch wurde deutlich, wie sehr sich der heutige Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen von der Vergangenheit unterscheidet. David Gründler aus Groß Köris beschrieb seinen Weg vom ehemaligen Klinikbewohner zum heutigen selbständigen WG-Mitglied. Er berichtete von seiner Tätigkeit in einer Druckerei in Wildau und wie er sein Leben in Gemeinschaft liebt. „Wie eine kleine Familie sind wir.“ So formulierte er sein heutiges Lebensgefühl. Sein Wunsch für die Zukunft: „Die Gesellschaft muss mehr auf Teilhabe reagieren. Wenn ich nach dem Einkauf an der Kasse länger brauche, dann sollte man das verstehen und helfen.“ Ob er einen Tipp habe für die anderen Menschen mit Assistenzbedarf im Saal? „Auf sich selbst hören und dann das Beste daraus machen“, fasste er zusammen - und erhielt dafür Beifall.
Intensiver Austausche
In kleinen moderierten Arbeitsgruppen traf man sich dann zum detaillierten Gespräch. Am ersten Tag in zwei Mitarbeitergruppen und in vier Gruppen Leistungsberechtigter. Inhaltlich wurde in allen Gruppen zu den gleichen Themen und Fragen gearbeitet: die persönlichen Möglichkeiten von Selbstbestimmung bzw. deren Assistenz, Mitbestimmung und Teilhabe im Alltag und im Sozialraum sowie die Mitbestimmungsmöglichkeiten im Zusammenleben mit anderen Menschen und in der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal.
Fortsetzung folgt
Am Vormittag des zweiten Tages setzte man in veränderter Zusammensetzung die Gruppenarbeit fort. Diesmal kamen die Mitarbeitenden u n d Leistungsberechtigten miteinander ins Gespräch. Austausch und Begegnung fand auf Augenhöhe statt. Luisa Goretzka merkte an: „Leistungsberechtigte haben erkannt, dass sie das Recht haben, gehört zu werden.“ Es ist deutlich geworden: Für eine gute Assistenz hin zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung ist es notwendig, dass Mitarbeitende lernen zuzuhören, dass sie Fragen stellen und Wahlmöglichkeiten aufzeigen. „Es braucht ein kommunikatives Miteinander“, fasst sie zusammen.
Eine Aussage, die auch für den Impulsvortrag von Ramona Petriga-Marggraf und Johannes Mai (beide Verbund Süd-Ost Brandenburg) stand, in dem Teilhabe in der Pflege, im Umgang mit Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf, im Mittelpunkt steht. Auch in diesen Lebenssituationen, so die klare Botschaft, ist Selbstbestimmung möglich, wenn man einander zuhört und miteinander kommuniziert.
Die Organisatorinnen und Organisatoren der Arbeitsgruppe „Teilhabe erleben“ werden die Tagung nun auswerten, Folgeveranstaltungen planen und langfristig daran arbeiten, Handlungsrichtlinien für die Arbeit in der Teilhabe zu formulieren. Ein wichtiger gemeinsamer Schritt dahin wurde bei der Werbellinseetagung gegangen. Und es werden weitere folgen.
Andreas Gerlof